Kathmandu 44600, Nepal
Yuksom, Sikkim 737113, India
Die Fahrt mit dem Jeep von Yuksom nach Darjeeling ging schneller als erwartet. Anstatt der -prognostizierten 6 – 7 Stunden war ich bereits nach 4h am Marktplatz der renommierten Teestadt angekommen. Ein Hotel war auch schnell gefunden und so konnte ich gleich einmal die notwendigsten Dinge erledigen. 8 Tage in den Bergen ohne Dusche hinterlässt Spuren, vor allem an der Bekleidung. Weshalb fast die gesamte Wäsche – benützt oder nicht – in die hoteleigene Wäscherei wandert, während ich die Zeit nutze und in einem ausgedehnten Streifzug durch den Stadtteil Chowrasta bummle und den Tag entspannt ausklingen lasse.
3:30 morgens war Tagwache, das morgendliche Ziel ist Tiger Hill, jener Aussichtspunkt 11km von Darjeeling entfernt, von dem aus man angeblich bei schönem Wetter im Morgengrauen einen Panoramablick auf die Berge Mount Everest, Makalu und Kandzchenjunga hat – vielleicht, wenn man Glück hat 3 oder 4 mal im Jahr. Sonst muss man sich mit einem beeindruckenden Sonnenaufgang begnügen, so wie ich diesmal und hunderte andere mit mir. Leider nicht alleiniger Inhaber dieser tollen Idee, wollten alle zur gleichen Zeit zwischen 4h und 4:45 rauf, das bedeutete natürlich Stau – beim anschließenden runterfahren inklusive dem einsetzenden Berufsverkehr logischerweise Mega-Stau.
Darjeeling ist eine natürlich gewachsene, eng verwinkelte Stadt mit schmalen Gassen und tiefen Häuserschluchten. Ursprünglich Mitte des 19. Jhdt. als Kurort für englische Offiziere von den Briten gegründet, hatte die damalige Stadtplanung wohl mit allem gerechnet außer dem heutigen Autoverkehr. Optisch breit genug für zwei passierende Radfahrer, müssen im 21. Jhdt. ein Jeep und ein LKW aneinander vorbei. Einbahnsystem gibt es keines und selbst wenn es eines gäbe, würde sich keiner daran halten. So kann es vorkommen, dass für eine Wegstrecke von 500 m gerne einmal 45 min. benötigt werden. In diesen 45 min. kommt man ungefähr 4 mal in die folgende Situation: Mauer – Jeep – LKW – Mauer und dazwischen 2 cm. Also nix geht mehr. Die Fahrer steigen aus, nachdem die Fahrzeuge in Kolonnen aufeinander zugerollt sind, die dahinterliegenden selbstverständlich auch. Zuerst wird einmal in der Gruppe von zehn oder fünfzehn Fahrern mit einer Eselsgeduld diskutiert, schließlich sind ja alle Fachleute in Sachen Engpassbewältigung. In Europa würden sie sich wahrscheinlich spätestens ab diesen Zeitpunkt zu handfesteren Argumenten greifen. Die verkeilten Fahrzeuge beginnen sich langsam nach vor und zurück zu bewegen, Zentimeter für Zentimeter, Minute für Minute immer mehr nach vor, weil nach hinten geht leider nicht viel – da stehen ja bereits die anderen. Und das für 10 Minuten, zwischendurch eine Schramme ist nicht wirklich tragisch, weil gehört zum Tagesgeschäft und dient der Aerodynamik. Unvorstellbarerweise quetschen sich die beiden Fahrzeuge wirklich aneinander vorbei und geben dann Vollgas, beschleunigen auf satte 30 Km/h, die Kolonnen hintendrein, weil 100m weiter beginnt das gleiche Spiel wieder von vorne und dann wieder und dann wieder…
Auch so kann man seine Morgenstunden in Darjeeling verbringen. Um 10 Uhr ist die Wäsche trocken, nach der Geruchskontrolle ist keine wirkliche Verbesserung auszumachen, aber zumindest sieht sie sauberer aus. Den Rucksack schnell gepackt, heute soll es noch nach Karkavitta gehen – jener nepalesischen Grenzstadt, von der aus der Nachtbus Richtung Kathmandu (KTM) fährt.
Unglücklicherweise ist gerade an diesem Morgen ein Teil des Central Marktes von Darjeeling abgebrannt. Die Feuerwehr im Einsatz und tausende Schaulustige mittendrin direkt neben dem Shared-Jeep-Sammelplatz sorgen dafür, dass an diesem Tag von dort kein Jeep abfährt. Ich quetsche mich mit meinem Rucksack und Handgepäck durch die Massen dorthin um zu erfahren „Heute fährt hier kein Jeep. Aber kein Problem, Sir, auf der anderen Seite beim Bahnhof fahren die Jeeps…“. Die Hauptstraße ist wegen des Einsatzes gesperrt, also durch das enge Gewirr der Gassen zwischen den Markthütten durch tausende von Leuten irgendwie auf die andere Seite, weiter zum Bahnhof um schließlich mit der gleichen Antwort zu Clocktower geschickt zu werden und von dort wieder zum Central Market zurück und von dort….
Zwei Stunden Kreislauf reichen, das Gepäck ist nicht nur am Berg sondern auch in der Stadt schwer. Strategieänderung. Schweißgebadet setze ich mich an den Straßenrand und halte jedes Auto auf, dass nach Shared-Jeep aussieht und nur irgendwie in die gewünschte Richtung fährt. Nach zig Versuchen stellt sich der Erfolg ein – ein Jeep hält an, zwar schon voll belegt aber dieses Problem wird vom Fahrer relativ rasch gelöst. Ein junger Mann aus dem Fonds des Fahrzeuges wird auf das Dach zum Gepäck gesetzt und ich bekomme seinen Platz im Fonds, habe sozusagen den Altersbonus. Ein zusätzlich bezahlender Fahrgast ist immer willkommen, das versteht hier jeder.
An der indischen Grenzstation vorbei geht es über eine lange Brücke Richtung Nepal. Die Grenzbeamten im Abfertigungshaus freuen sich, dass ich komme da ich kein Visum besitze. Das bedeutet es muss eines genehmigt werden und das kostet – 3 Monate Visum im Gegenzug für ein Passfoto und 85 Euro, das Wechselgeld bekomme ich übrigens aus der privaten Brieftasche eines Beamten. Der Verdacht liegt nahe, dass mein Geld auch dorthin wandert. Normalerweise bin ich bei solchen Transaktionen sehr sensibel und verhandle oder verlange eine Quittung, das wirkt meistens um einen halbwegs fairen Preis zu erhalten. Möchte aber unbedingt den Nachtbus nach Kathmandu erreichen, aus diesem Grund ist es mir an diesem Tag egal – soll er sich ein schönes Wochenende mit seiner Familie machen.
Pünktlich 5 Minuten vor 5 Uhr bin ich beim Ticketschalter am Busbahnhof Karkavitta und wedle mit dem Geld in der Hand.
Das beste verfügbare Ticket für den Nachtbus nach KTM, bitte. Tut mir leid, der letzte Bus ist schon um 5 Uhr gefahren – heute gibt’s kein Ticket mehr. Wieso, es ist doch erst 5 Minuten vor fünf? Nach India-Time, Sir, nach Nepali-Time ist es bereits 10 Minuten nach fünf.
Die 15 Minuten Zeitunterschied zwischen den beiden Ländern hatte ich total vergessen, leider in diesem Fall zu meinem Nachteil. Am Nebenschalter besorge ich mir ein Ticket für den 1. Tagbus um 5 Uhr am folgenden Morgen und nehme mir das nächste Hotel neben dem Busbahnhof.
Der Verkehr in Nepal ist gleich chaotisch wie in Indien – allerdings mit einem riesigen Unterschied. In Indien geht alles langsamer. Ich glaube nicht, dass ich in diesen Wochen in Indien mit den Jeeps die Höchstgeschwindigkeit von 50 Km/h jemals überschritten hatte. Die Straßen sind schlecht, die Kurven eng und alles läuft gemäßigter ab. Die Nepali dagegen sind heißblütiger, da wird trotz gleicher Bedingungen so richtig Gas gegeben.
Deshalb war der Schrecken zu Beginn einmal riesengroß, als der Busfahrer mit geschätzten 90 Km/h im Morgengrauen aus der Stadt hinaus beschleunigt. Der Straßenverkehr in Indien und Nepal ist eine eigene Geschichte – nachdem ich in diesen Ländern schon monatelang mit dem eigenen Motorrad unterwegs war, könnte ich an dieser Stelle einen 200 Seiten Detailbericht abliefern, was ich aber allen Beteiligten ersparen möchte.
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase von 10 Minuten kommen Ruhe und Gelassenheit, quasi Todesverachtung zurück. Für die nächsten 15 Stunden bis nach KTM.
Die Fahrt nach Kathmandu wurde notwendig, da für die ersten Trekkinggenehmigungen mein Reisepass im Original vorliegen muss. Also von der indisch-nepalesischen Grenze im Osten nach KTM für ein paar Behördenwege um dann nach 2-3 Tagen die gleiche Strecke wieder zurück zu fahren. Schließlich starte ich meinen ersten Streckenabschnitt kurz nach der Grenze. Von Tapleijung in Richtung Kandzchenjunga Base Camp (KBC), um von dort über das Makalu Base Camp und das Everest Base Camp, vorbei am in Tibet gelegenen Shishapagma durch die Berge zu Fuß nach KTM zurückzukehren. Das Treffen mit dem nepalesischen Vertreter von Weltweitwandern – einem jener Unternehmen, das mich auf meinem Weg sowohl finanziell als auch organisatorisch unterstützt – war sehr erfolgreich. Sudama besorgte für mich die notwendigen Genehmigungen und Dokumente. Bei der sehr intensiven Routenbesprechung konnten die letzten offenen Fragen geklärt werden.
Planänderung. Auf Grund seiner Ratschläge und meiner Erfahrungen vom Goecha La entschloß ich mich in diesem Gespräch, entgegen meiner ersten Vorstellung diese Tour doch nicht alleine zu absolvieren. Das Gepäck ist einfach zu schwer und ich würde dadurch viel zu langsam werden. Die Gefahr bestand, dass ich zu spät in den Monsun hineinkomme und über verschneite Pässe Probleme bekommen würde, bzw. Wege durch Murenabgänge unpassierbar werden.
Er besorgte mir deshalb noch einen zuverlässigen, englisch-sprechenden Träger und ortskundigen Begleiter, der einen Teil meines Gepäcks für die nächsten 7 – 8 Wochen übernehmen kann. Mein Ein-Mann Zelt wurde gegen ein Zwei-Mann Zelt getauscht, eine SIM-Karte inklusive Handy organisiert, die Ausrüstung ordentlich gecheckt, die fehlenden Dinge eingekauft und das Gepäck auf zwei aufgeteilt.
Die Freizeit dazwischen nutze ich für ausgiebige Spaziergänge durch die Stadt. Kathmandu wird von mir einen eigenen Blog-Artikel bekommen, soviel ist sicher – aber nicht jetzt sondern wenn ich wieder zurück bin – zu viel hat sich in den letzten 5 Jahren seit ich das letzte Mal hier war verändert, das sich zu beschreiben lohnt. Einstweilen möchte ich nur ein paar Bilder bereitstellen.
Am 24.4. sind alle Genehmigungen erteilt, was etwas schwieriger war, da wir auch abseits der üblichen touristischen Standardtrekks entlang der chinesischen Grenze unterwegs sein werden. Früher waren das alte Handelsrouten der Salzkarawanen zwischen Tibet und Indien – heute werden diese Pfade und Pässe gerne für den Schmuggel verwendet. Worin auch die Sensibilität des gesamten ersten Streckenabschnittes liegt.
In einer Stunde geht der Nachtbus, ich möchte ihn diesmal erreichen – habe keine Ahnung, wann ich mich wieder melden kann. Werde aber jede Möglichkeit wahrnehmen.
LG an Alle
Heinz