Der letzte Tag der Kumbh Mela war das eigentliche Ziel meines Indien-Aufenthaltes. Um bestmöglich zu den Feierlichkeiten zu gelangen, war es wohl das Beste, in der Nähe von Ujjain zu nächtigen. Indore, eine Millionenstadt etwa 50 Km vor Ujjain schien ideal und nachdem wir noch ein paar Tage Zeit hatten, entschlossen wir uns dort in einem etwas besseren Hotel, einer indischen Luxus-Absteige zu relaxen. Jeden Tag gutes Essen und wenig Bewegung sollte die Batterien wieder aufladen, bevor es in den Hexenkessel von Ujjain geht.
Außerdem war es eine gute Gelegenheit, das Motorrad wieder auf Vordermann zu bringen. Die letzten Wochen waren auf für unsere Bikes anstrengend. Mein Reifen stand wieder mal etwas schief, also ab in den nächsten Royal Enfield Shop. Ich dachte, es wird wieder wie das letzte Mal so 2 bis 3 Stunden dauern. Der Schock saß tief, als mir mitgeteilt wurde, dass die Ursache für das aus der Spur geratene Hinterrad ein Rahmenbruch war. Offenbar hatte der Vorbesitzer einen Unfall gehabt, den Rahmen geschweißt, mir aber davon nichts gesagt. Bei der technischen Abnahme war es mir nicht aufgefallen, da die gebrochene Stelle an einer schwer einsehbaren Stelle unter dem Motorrad war. Durch die freigewordenen Kräfte in den Offroad-Passagen brach der Rahmen wieder an der selben Stelle.
Nochmaliges Schweißen sei nicht Sinnvoll, gar nichts unternehmen lebensgefährlich. Die erste Auskunft war, ich müsste ungefähr 10 Tage auf einen Rahmen warten, so lange dauert die Lieferung ab Werk. Lagernd sei keiner vorhanden. Nachdem ich in der Werkstätte erklärt hatte, dass die lange Wartezeit für mich nicht frage käme, ich notfalls bis zur nächsten Werkstätte in die nächste größere Stadt weiterfahren würde, war es ihnen auf wundersame Weise gelungen, innerhalb von Stunden einen neuen Rahmen aufzutreiben.
16 Mechaniker-Stunden, ein neuer Rahmen, eine neue Schwinge und der Austausch sonstiger Kleinteile schlugen sich mit 18.000 INR zu Buche. Ungefähr € 250,- und etwa ein Viertel des Kaufpreises. Insgesamt also für Wartung und Reparaturen ca. 30.000 INR bis jetzt. Wartungs- und Reparaturkosten sind Teil einer solchen Reise, bis auf den leidigen Rahmenbruch hatte eigentlich mit allem was zuvor passiert war gerechnet. Natürlich ist eine solche Situation ärgerlich. Andererseits kann ich froh sein, dass ich schon jetzt in Indore drauf gekommen bin. Die folgenden Etappen gehen in die Berge, die Straßen werden schlechter und die Belastungen für Mensch und Material höher. Wenn mir irgendwo im Nirgendwo der Rahmen bricht hätte ich abseits der Verletzungsgefahr noch mit zusätzlichen Problemen zu kämpfen gehabt.
Der alte Rahmen wurde zerschnitten und als Altmetall weiterverkauft. Für den Erlös konnte ich gerade noch 4 Biere kaufen – das frohe Ereignis musste entsprechend gefeiert werden.
Kurz vor der Weiterfahrt zur Kumbh Mela wurde der zweite Studd krank, also musste ich um Mitternacht alleine nach Ujjain losfahren. Weitere Informationen dazu sind im Beitrag zur Kumbh Mela nachzulesen.
Auf dem Weg nach Norden hielten wir in Agra für 2 Tage, damit Nigel das wohl berühmteste indische Denkmal besichtigen konnte – das Taj Mahal. Ich hatte vorher schon einmal das Vergnügen, im Vergleich zu vielen anderen Sehenswürdigkeiten in Indien halte ich das Taj Mahal für überbewertet, einmal im Leben reicht, dort gewesen zu sein.
Dafür konnte ich in Delhi mein total verbeultes Vorderrad wechseln lassen. Mein Haus- und Hof-Mechaniker freute sich über den Besuch und einen kleinen zusätzlichen Verdienst. Solche Ersatzteile werden in der Zwischenzeit auch in Indien schon so billig hergestellt, dass sich die Reparatur auch in diesem Land nicht mehr rechnet.
Der Weg von Indore bis nach Amritsar ist weit und anstrengend. Ungefähr 1.500 km in großer Hitze sind trotz der kurzen Aufenthalte in Agra und Dehli kein Pappenstiel. Kurz vor der Regenzeit erreicht die Trockenheit ihren Höhepunkt, die karge Landschaft erscheint noch trostloser als sonst. Zur Mittagszeit während der größten Hitze befinden sich die meisten Trucker (so wie wir Biker) in den Restaurants entlang der Straßen, Klimaanlagen in den alten, billigen LKW’s gibt es nicht.
Die Mittagspause wird auch gerne dazu genutzt, die Fahrzeuge direkt am Parkplatz beim Restaurant reparieren zu lassen. Dies jungen Mechaniker mühen sich gerade mit einfachsten Mitteln mit einem schweren LKW-Getriebe ab.
Es muss aber nicht immer ein traditionelles indisches Restaurant sein – gerade in der Peripherie von Großstädten findet man auch immer wieder Restaurants internationaler Ketten, wie z.B. McDonalds oder Burger King. Eine willkommene Abwechslung, weil die Lokale mit Klimaanlagen ausgestattet sind. Der Verzehr von Rindfleisch ist für Hindus nicht erlaubt, deshalb bekommt man nur Hühnchen-Burger.
Amritsar, die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Punjab besitzt ungefähr 1,2 Mio. Einwohner. Das Wahrzeichen der Stadt ist der Harmandir Sahib, der Goldene Tempel – das höchste Heiligtum der Sikh-Religion. Die meisten der ungefähr 27 Mio Sikhs leben im Punjab. Der Tempel ist mit Blattgold überzogen und von einem künstlichen See umgeben. Für die gläubigen Sikhs ist es wichtig, sich in dem See rituell zu reinigen.
Amritsar ist ungefähr 30km von der Grenze zu Pakistan entfernt. Ich hatte diese Grenze schon einmal überquert und natürlich auch damals den Goldenen Tempel besucht. Der Grenzübergang Atari ist für seine einmalige Wachablöse der Grenzsoldaten und Flaggenparade bekannt. Inder und Pakistanis liefern sich einen täglichen zeremoniellen Wettstreit. Dieses Spektakel findet immer um 18:00 Uhr statt, wenn die Grenze bis zum nächsten Tag geschlossen wird. Tausende Zuschauer werden davon angelockt und müssen sich teils Stundenlang anstellen. Als westlicher Ausländer hat man den Vorteil, dass man an den Warteschlangen der einheimischen Besucher vorbeigeführt wird und sich das lange Warten erspart. Man wird als VIP behandelt. Jeden Tag kommen mehr Besucher als der Paradeplatz fasst – hunderte, wenn nicht sogar tausende Menschen werden wieder weggeschickt und müssen an einem anderen Tag aufs Neue ihr Glück versuchen. Die Stimmung ist wie bei einem Fußball-Match. Einpeitscher bringen die Menge mit Musik, Slogans und Trommelwirbel in die richtige Stimmung.
Jetzt geht’s für uns weiter in die Berge – jetzt beginnt die wirklich spannende Motorrad-Tour.
LG bis bald
Heinz