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#18 – Der Schiffsfriedhof von Alang

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Übersicht

Alang, Gujarat, Indien

Die lokale Story – was so passiert ist

Der Weg an die Küste ist weit und bis wir die nächste, für uns wichtige Station auf unserer Route erreichen sollten, dauerte es ein paar Tage. In der Millionenstadt Nashik suchten wir den örtlichen Royal Enfield Händler auf, um den notwendigen Ölwechsel an unseren Motorrädern durchführen zu lassen. Im Zuge des Gesprächs mit den Mechanikern kam ich drauf, dass mein Hinterrad etwas schief stand. Die vermeintliche Ursache war eine verbogene Schwinge, also sollten die Burschen gleich auch diesen Mangel beseitigen. Nigel wollte nach dem Service sein Motorrad reinigen lassen, ich halte auf so einer Tour zwar nichts von sauberen Motorrädern, weil es in der Regel nicht mehr als 4 – 5 Stunden auf den Straßen dauert, bis sie nach dem Waschen wieder so schmutzig sind wie zuvor. Diese Wäsche sollte sich für mich als Fehler herausstellen, weil der damit betraute Mitarbeiter mit seinem Wasserstrahl so gründlich auf den Motor und unter den Tank gezielt hatte, dass an meinem Bike einige elektrische Bauteile den Geist aufgaben. Nachdem sich meine Prinzessin nach dem Vollbad nicht mehr starten ließ, mussten wir uns ein Hotel suchen, da die Ursache nicht auf Anhieb gefunden werden konnte. Am nächsten Tag wurden dann die Zündspulen und die beiden Kerzenschuhe gewechselt, mein Motor-Esel konnte wieder in Betrieb gehen. Statt der 1.000 INR für den Ölwechsel war ich durch dieses Malheur gleich einmal das 3-fache los. Zumindest hatten wir die Gelegenheit, während des Wartens das nagelneue Modell von Royal Enfield – die Himalaya – Probe zu fahren.

Auf dem Weg nach Gujarat ist uns ein besonderes Kuriosum begegnet – auf einer 3-spurigen Autobahn ist auf der mittleren Spur ein Baum gewachsen, ohne Vorwarnung für die Verkehrsteilnehmer natürlich. Bäume werden hier offensichtlich nicht leichtfertig gefällt.

Unser Ziel sind die Abwrackwerften von Alang im Bundesstaat Gujarat. Dieser Schiffsfriedhof gilt als einer der größten der Erde. Auf einer Länge von ungefähr 15 Kilometern Küste werden von 180 verschiedenen Unternehmen Hochseeschiffe aus aller Welt abgewrackt. Dieser Strandabschnitt ist Privatbesitz und normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Möchte man dort als Ausländer oder Journalist hinein, benötigt man die Genehmigung des Eigentümer-Konsortiums. Diese Genehmigungen sind aber kaum zu bekommen. Die letzten Kilometer der Zufahrtsstraße zur Werftanlage sind mit Gebrauchtwarenhändlern gesäumt – nichts was auf den Schiffen demontiert wird, wird weggeworfen, alles wiederverwertet.

Das große Problem sind die unsicheren Arbeitsbedingungen. Ungefähr 35.000 Arbeiter sind mit dem zerlegen und verschrotten der Supertanker, Fähr- und Containerschiffe beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen sind gefährlich, Arbeitsschutz ein Fremdwort. Gefährliche Dämpfe und Flüssigkeiten lösen Gesundheits- und Umweltschäden aus. In dieser Werftanlage gibt es für alle Arbeiter nur eine Krankenstation – ernste Verletzungen müssen im Krankenhaus im 50 km entfernten Bhavnagar behandelt werden. Ein Toter pro Tag ist gewöhnlich, die Leichen werden ohne genauere Untersuchung der Ursachen direkt am Strand verbrannt. Dies hatte in den letzten Jahren in der internationalen Presse für erheblich negative Schlagzeilen gesorgt. Ein Grund mehr, keine Ausländer auf das Gelände zu lassen.

Wir hatten Glück. Am Einfahrtstor zu den Werften stand zwischen dem Kontrollposten und mir ein LKW. So konnten wir am LKW und damit am Checkpost unerkannt vorbeifahren und in das Innere der Anlage vordringen. Es war richtig spannend. Gleich bei der ersten Werft, bei der die Tore nach außen geöffnet sind waren wir stehengeblieben und sind hinein gegangen. Die Security dachte sich wohl, nachdem wir am Haupttor vorbei sind, wird schon alles seine Richtigkeit haben. Nigel hat sie zusätzlich mit ihnen unterhalten, sie etwas abgelenkt. So konnte ich einige Fotos schießen.

Ein mittelgroßes Schiff zu demontieren dauert zwischen 3 und 4 Monate – um einen Supertanker oder ein großes Containerschiff abzuwracken benötigen die Arbeiter ungefähr 9 Monate. Ich hatte ungefähr in der Mitte der Anlage eine Feuerwehrstation gesehen. Dort wollte ich hin, weil vom Aussichtsturm sollte man einen tollten Überblick auf das gesamte Gelände bekommen. Dies stellte sich leider als großer Fehler heraus – der Feuerwehrhäuptling war ziemlich böse, weil wir ihm unsere Einfahrtsgenehmigung nicht vorweisen konnten. Er wollte uns festhalten und an der Weiterfahrt hindern. Mich hatte sein Gehabe wenig imponiert und wir sind halt wieder zu unseren Motorrädern gegangen. Um uns zu zeigen wie Ernst die Lage ist, hatte er sich vor mein Motorrad gestellt. Um ihm zu Zeigen wie Ernst ich es mit der Weiterfahrt meine, fuhr ich einfach los und er musste etwas hastig zur Seite springen. Nigel ist mir Gottseidank sofort gefolgt. Damit war zumindest die erste Gefahr, die Fotos wieder löschen zu müssen, abgewendet.

Als wir außer Blick waren, blieb ich sofort stehen um meine Speicherkarten zu wechseln. Sollten sie uns wirklich noch aufhalten, so konnte ich zumindest zeigen. dass wir keine Fotos gemacht hatten. Ich wollte weder die Speicherkarten verlieren noch die Kamera beschädigen lassen.

Dem war dann auch so. Auf der Suche nach einer anderen Ausfahrt wurden wir bereits von einem Pulk von Männern erwartet. Alle blickten ziemlich ernst und nachdem ich stehengeblieben war sofort eine intensive Befragung angesagt. Wo kommen wir her, wie sind wir hier reingekommen, was wollen wir überhaupt hier – und so weiter. Meine Freundin behauptet von mir, ich kann mich ziemlich blöd stellen, wenn ich etwas nicht will. Die Männer dort könnten nun ein Lied davon singen. Ich hatte keine Ahnung von Nichts und Nein, meine Kamera gebe ich nicht aus den Händen. 10 Minuten hitzige Diskussion, wir wurden nicht verhaftet dafür aber belehrt, dass wir uns hier nicht mehr blicken lassen sollten und wir konnten über eine hintere Ausfahrt das Gelände unbeschadet. Nigel gelang es, ein Selfie mit dem „Chef“ der Meute zu schießen.

Das erste Mal ein wenig Aufregung auf der Tour.

LG Heinz

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