Munsyari, Uttarakhand 262554, India
Die Fahrt von Kathmandu (Nepal) nach Munsiyari (Uttarakhand, Indien) war an sich nichts besonderes, außer dass sie fast 3 Tage Busfahrt bedeutete und ich zwei für mich außergewöhnliche Ereignisse, kurze Episoden miterleben durfte die es meines Erachtens Wert sind, als kurzer Zwischenbericht erzählt zu werden.
In Nepalganj, dem letzten Ort vor der indischen Grenze muss man den Bus verlassen, zu Fuß oder mit einem Fahrradrikscha die ca. 5 km zum Grenzübergang zurücklegen und sich dann selbst darum kümmern, dass man ordentlich ins Land einreist, weil die Grenzbeamten und Zöllner interessiert es nicht wer kommt oder geht. Zwischen Indien und Nepal herrscht de facto offener Grenzverkehr, d.h. die Bevölkerung der beiden Länder kann ohne gültige Dokumente von einem Land in das andere reisen. Wenn man jetzt aber als richtiger Ausländer (so wie ich) nicht die Formalitäten einhält, also sich selbst darum kümmert und alle notwendigen Stempel auf das Visum einfordert, bekommt man bei spätestens der ersten Kontrolle im Land ernsthafte Probleme.
Das Niemandsland ist dicht mit Kleinbauern und Handwerkern in ihren Häusern und Hütten besiedelt, unterbrochen von kleinen, trockenen Waldinseln. Auf meiner Suche nach dem indischen Immigration Office war um eine dieser Waldinseln eine relativ große Menschenmenge versammelt, die in einem Halbkreis von ca. 50m Durchmesser um sie stand und aufgeregt von der Straße aus in den Wald starrte und dabei heftig diskutierte. Auf meine Frage, was da los sei bekam ich nur zwei Wortfetzen mit: Snake, Cobra. Diese Schlagworte reichten bei mir sofort um 100%ige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Rikscha wurde mit dazugehörigem Fahrer augenblicklich am Straßenrand eingeparkt und mit der Kamera in der Hand in Richtung Wald losmarschiert.
Schon von weitem war zu sehen, dass zwei Kobras eng umschlungen und wild tänzelnd am Waldrand ihr Liebesspiel trieben. Ich wollte natürlich so nah wie möglich an die beiden ran, auf dem Weg dorthin war ein ca. 20m breiter Streifen durch Gebüsch und Unterholz zu durchqueren, der die volle Konzentration abverlangte. Auf der einen Seite wollte ich natürlich nichts von dem Schauspiel der beiden Turteltauben versäumen, auf der anderen Seite war aber auch klar: wo zwei sind da können auch drei sein. Vielleicht gab es einen ausgebooteten Kontrahenten oder reptilischen Voyeur, der den beiden Artgenossen bei ihrem Akt zusah und dem wollte ich nicht unbedingt vor lauter Aufregung oder aus Unachtsamkeit auf den Schwanz steigen. Nachdem die Leute dort aus Angst vor diesen Tieren nicht daran dachten, näher zu kommen konnte ich relativ ungehindert an eine gute Position bis auf einen Sicherheitsabstand von 2 ½ bis 3 Metern an die beiden Tiere ran. Dieses besondere Naturerlebnis hat vielleicht 5 Minuten gedauert, bevor sich die Schlangen wieder in den Wald verzogen. Ob sie bei ihrer Tätigkeit erfolgreich waren, kann ich leider nicht sagen.
Von Haldwani, einer der größeren Städte in den Ausläufern der Himalayas bis an den Zielort Munsiyari waren es noch 15h Fahrt mit dem Autobus. Dies bedeutete 15h ununterbrochen auf und ab durch Serpentinen in einem hoffnungslos überfüllten Bus, mit all den dazugehörigen Konsequenzen. Mit ausreichend Durchsetzungsvermögen und etwas Glück war es mir wieder einmal gelungen, einen der wenigen Sitze mit ausreichend Beinfreiheit zu ergattern, nämlich in der ersten Reihe direkt hinter dem Fahrer.
15h Serpentinen bedeuten in der Regel aber auch, dass sich nach ca. 30 Minuten die ersten Leute – vornehmlich Frauen und Kinder – zu übergeben beginnen und dies setzt sich dann bis zum Ende der Busfahrt fort. Ein bisschen Übelkeit ist aber kein Grund den Bus anzuhalten, deshalb wird für alle selbstverständlich und völlig ungeniert während der Fahrt aus dem Fenster gekotzt. Nachdem man diese an sich sinnvolle Körperfunktion nur bedingt steuern kann, geschieht dies oftmals zum Leidwesen von anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Motorradfahrern oder Autos. Für die Beschreibung der olfaktorischen Sinneseindrücke reicht leider mein Wortschatz nicht aus. Der stark ätzenden Magensäure hält auf Dauer kein Autolack stand, dementsprechend versaut sehen die Busse an den Seitenwänden aus. Mit leerem Magen kotzt es sich schwer, deshalb wird in regelmäßigen Abständen eine Rast an einem Restaurant eingelegt, damit man ja immer genug Munition für die nächsten 2 – 3 Stunden mit sich führt.
Ungefähr 1 ½ Stunden vor Munsiyari war wieder einmal Halt – diesmal allerdings an einem Hindi-Tempel. Alle sind raus in die Tempelanlage um zumindest einmal eine der vielen Glocken zu läuten die Glück und Segen bringen – also ich hinten nach. Inmitten der Anlage befand sich eine kleine Hütte, in der ein Sadhu – einer dieser heiligen Männer mit seinen Rasta-Locken saß. Der Busfahrer ist zielstrebig auf diese Hütte zugesteuert und nach einigen Verhandlungen unterstützt durch ein paar Geldscheine hatte er offensichtlich den göttlichen Beistand in Form einer gehörigen Ladung Cannabis erwirkt. Genüsslich hatten sich die beiden dort eine Tonpfeife reingezogen, so als ob es das selbstverständlichste auf der Welt für Busfahrer im Dienst wäre. Die anderen Fahrgäste haben dabei zugesehen, einige sogar mitgeraucht – mir wurde es übrigens auch angeboten. Uttrakhand scheint sowieso freizügig in Bezug auf den Haschisch-Konsum zu sein, weil mir wurde in der kurzen Zeit in der ich hier war, bereits 4 oder 5 Mal etwas zu rauchen angeboten – einmal sogar von einem I.T.B.P Polizisten im Dienst.
Nachdem ich schon vor der bewusstseinserweiternden Maßnahme des Lenkers das Gefühl hatte, dass er das Zusammenspiel aus Straße, Verkehr, Geschwindigkeit und Regeln besonders frei interpretierte, waren ab diesem Zeitpunkt neben meiner Nase auch alle anderen Sinne bis aufs höchste sensibilisiert. Unterschied in der Fahrweise war keiner zu erkennen, vielleicht ein bisschen mehr gelächelt hatte er, mehr nicht.
Gut in Munsiyari angekommen, die notwendigen Genehmigungen erwirkt geht es rauf zum Milam-Glacier und zum Nanda Devi Base-Camp, den mit über 7.800m höchsten Berg innerhalb Indiens.
LG und bis zum nächsten Mal
Heinz