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Bereits vor sieben Monaten, also vor meinem Aufbruch nach Neuseeland war klar, dass ich am Ende meiner gesamten Reise, sozusagen auf dem Heimweg, noch nach Indien fahren werde. Die Idee war nach Ujjain zu fahren um dort für einige Zeit der hinduistischen Kumbh Mela, der weltweit größten religiösen Zusammenkunft Gläubiger, beizuwohnen. Dieses Vorhaben hatte ich Nigel, einem sehr guten Bekannten in Neuseeland, geschildert. Worauf hin ich nach einiger Zeit mit der Frage konfrontiert wurde, ob er für einige Zeit mitkommen könne. Er war zuvor noch nie in Indien gewesen und konnte sich nicht vorstellen, in dieser für westliches Empfinden doch sehr schrägen Zivilisation, alleine zu Reisen. Diese Idee hatte sich im Laufe des Gespräches in einer Sportsbar in Auckland – mit der tatkräftigen Unterstützung von Speight’s Pilsner – soweit entwickelt, dass wir schließlich darin Übereinstimmten, wir werden uns beide ein Motorrad kaufen und nicht nur die Kumbh Mela besuchen, sondern eine anständige Tour durch Indien reiten. Wobei ich sozusagen als Guide vorausreite und sich dadurch für ihn damit die Möglichkeit eröffnet, so gefahrlos, unkompliziert, natürlich und lebensnah wie möglich in dieses großartige Land einzutauchen.
Im Jahre 2007 hatte ich schon einmal das Vergnügen für 6 Monate auf einer Royal Enfield Bullet, einem indischen Klassiker, kreuz und quer durch Indien und Nepal zu fahren. Dies und mehrere Jahre Motorrad- und Reiseerfahrungen in verschiedenen Länder auf unterschiedlichen Kontinenten sollte ausreichen, meinen Kiwi Sicher und relativ stressfrei durchs Land zu bringen.
Etwas mehr als 3 Wochen blieben mir also, um in Kolkata ein Motorrad zu kaufen und die ungefähr 3.000 km bis zu unserem Treffpunkt in Delhi zurückzulegen. Als Gefährt hatte ich mich von vorne herein auf eine Royal Enfield Bullet 350 festgelegt, deshalb galt es zunächst das richtige Gefühl für einen fairen Marktpreis zu entwickeln. Über Internetplattformen für Gebrauchtmotorräder war das schnell geschehen, also stand rasch nichts mehr im Wege, um nach einem passenden Motorrad zu suchen.
In Kolkata gibt es dafür in der Nähe vom New Market ein Rayon, einen kleinen Platz mit mehreren Seitengassen, in dem sich Royal Enfield Mechaniker und Ersatzteilhändler befinden.
Hier wird nichts weggeworfen, solange Ersatzteile noch irgendwie zu brauchen sind, werden sie auf Vordermann gebracht und wiederverwendet.
Nachdem ich bei mehreren Mechanikern nachgefragt hatte, wurde mir bald ein potentielles Motorrad vermittelt. Eine Testfahrt, sowie mehrere Verhandlungsrunden später war eine 4-jährige Bullet um etwas mehr als € 900,- mein. Die notwendigen Umbauten für eine Reise mit Gepäck wurden wie vereinbart vom Verkäufer veranlasst. Das Motorrad schien in Ordnung, der Preis in einem vernünftigen Rahmen, also gab es keinen Grund lange zu zögern. Noch schnell einen Helm gekauft und pünktlich um 8:00 am übernächsten Morgen, konnte meine „Princess“ für den Start der Tour vor dem Victoria Memorial posieren.
Vor der Abfahrt hatte ich allerdings noch etwas wichtiges zu erledigen – mit meinem Bart konnte ich in der Zwischenzeit mit jedem Weihnachtsmann konkurrieren, das passt nicht unbedingt zu Schlagworten wie „Indien – Motorrad – Abenteuer“ – also weg damit. Selbstverständlich standesgemäß in einem Barber-Shop.
Das erste Ziel waren die Sundarbans, die im Süden Kolkatas gelegenen größten Mangrovenwälder der Erde im Mündungs- und Überschwemmungsgebiet der großen Flüsse Indiens und Bangladeshs -Ganges, Brahmaputra und Meghna.
Ich wollte schon immer einmal dort hin, nicht nur wegen der einzigartigen Landschaft, sondern vor allem wegen der Salzwasserkrokodile und den Bengalischen Tigern, den letzten Menschenfressern ihrer Art.
Über Nebenstraßen, vorbei an Dörfern auf dem Weg in die Sundarbans…
Die Straße führt bis zum Ort Gosaba, dort muss man sich nach einem Boot umschauen, möchte man weiter in das Mündungsdelta. Die Sundarbans umfassen eine Gesamtfläche von ungefähr 10.000km², wovon ca. 4.000 km² in Indien liegen, der größere Rest befindet sich in Bangladesh. Der in Indien befindliche Sundarbans-Nationalpark umfasst 1.330 km² und ist somit das größte zusammenhängende Tigerreservat des Landes. Wer es besuchen möchte, muss also auf eines Boote umsteigen, die hier hauptsächlich Touristen angeboten werden.
Die Boote sind für Gruppen ausgelegt, mehrere Mann Besatzung sorgen für den Betrieb und das Essen an Bord, wenn man möchte, kann man während einer mehrtägigen Tour auch auf Deck schlafen. Nachdem ich alleine hierher kam, waren die Preise für eine Einzelperson geschmalzen. Glücklicherweise hatte ich zuvor mehrmals ein Auto überholt, in dem 3 junge europäische Touristen mit einem Chauffeur den gleichen Weg gewählt hatten. Der Chauffeur stellte sich als Reisebürobesitzer und Tourguide in Personalunion heraus, der seine Gruppe – zwei junge Franzosen und eine Italienerin – durch die Sundarbans führte. Nach kurzen Verhandlungen konnte ich mich ihnen zu einem vernünftigen Preis für zwei Tage anschließen.
Wir mussten zuerst in ein Camp auf einer der Inseln überwechseln, danach stand ein Boot für eine erste kurze Ausfahrt am Abend bereit.
Strom gab es in diesem Camp keinen, das Bier während einer folkloristischen Tanzvorstellung musste deshalb warm genossen werden.
Bengalische Tiger sind die letzten Menschenfresser des Landes. Man geht davon aus, das jährlich ungefähr 100 Menschen – hauptsächlich Honigsammler und Fischer in den Mangroven – von Tigern in den Sundarbans getötet und gefressen werden. Wie viele es genau sind, weiß man allerdings nicht. Dabei gibt es nur mehr knapp 100 Tiger in den Mangrovenwäldern. Auch die Gründe, weshalb gerade hier Tiger Menschen als Jagdbeute sehen, sind nicht 100%ig erforscht. Es wird wohl eine Kombination aus mehreren Einzelfaktoren sein.
Zum einen werden jedes Jahr Tausende Menschen nach Naturkatastrophen – also Hochwasser und Taifune – als Leichen angeschwemmt, die Gewöhnung an Menschenfleisch ist dadurch vorhanden. Während im 19. und 20. Jhdt. in ganz Indien die Tigerpopulationen sehr intesiv gejagt wurden, die überlebenden Tiere dadurch gelernt hatten, den Menschen aus dem Weg zu gehen, war das in den Sunderbans nie der Fall. Und schließlich ist es ziemlich schwierig in dem morastigen und sehr rutschigen Sumpfland Hirschen oder Wildschweinen nachzujagen. Menschen sind langsamer und leichter zu erbeuten. Tiger sind hervorragende Schwimmer, es ist sogar belegt, dass Tiger in den Fluss hinaus geschwommen sind und Fischer von ihren Booten gezerrt hatten.
Kleine Boote mit Fischern und Honigsammler – sozusagen potenzielles Tigerfutter..
Die Touristen-Schiffe sind können von Tigern schwimmend nicht geentert werden, mit einem solchen machten wir uns am zweiten Tag auf die Reise durch die Mangroven-Wälder zu gesicherten Aussichtsplattform. Als ich die nackten Fakten gehört hatte, war mir von Anfang an klar, dass es bei einer so großen Fläche und der dazu verhältnismäßig kleinen Populationen schwierig sein würde, ein Tier zu Gesicht zu bekommen.
Trotzdem war es ein entspannter Ausflug in einer angenehmen Umgebung. Also Tiger oder eines der Salzwasserkrokodile konnten wir nicht beobachten, dafür aber eine einzigartige Landschaft. Gegen Abend erreichten wir wieder unseren Ausgangspunkt, wo meine Prinzessin geduldig auf mich wartete.
LG Heinz